die
taktischen Demokratiespiele in Brasilien
Ansich war es doch etwas
Unerhörtes: das oberste Verfassungsgericht verurteilte führende Politiker der
Regierungspartei PT und einiger Koalitionsparteien zu langjährigen Haftstrafen,
die sogar abgesessen werden müssten, wenn es tatsächlich dabei bliebe. Da aber
in Brasilien nahezu alles biegsam ist, gibt es auch wieder die Möglichkeit,
dass selbst gegen ein Urteil des obersten Verfassungsgerichts nochmals
Einspruch erhoben werden kann. Dann muss dasselbe Gericht sein eigenes Urteil
nochmals überprüfen, eine interessante demokratische Variante. Im Falle der
Urteile wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung, welche recht schwer
wiegen, die gegen zwei derzeitige Bundesabgeordnete, den ehemaligen
PT-Parteivorsitzenden José Genoino und den ehemaligen Parlamentspräsidenten João
Paulo Cunha sowie den ehemaligen Chefminister José Dirceu gefällt wurden,
könnte dieser Einspruch tatsächlich Erfolg haben. Die Urteile fielen sehr knapp
aus, mit 5 zu 4 Richterstimmen erfolgte die Verurteilung. Nun sind seitdem zwei
der Bundesrichter in den Ruhestand gegangen, beide stimmten für die
Verurteilung. Die Nachfolger wurden oder werden noch von der Präsidentin Dilma
Rousseff ernannt. Man kann sich also leicht vorstellen, dass diese Neulinge
anders abstimmen werden, und damit die von der Bevölkerung so begrüßten Urteile
gegen korrupte Politiker, außer Kraft gesetzt werden.
Doch solange wollten die
verurteilten Politiker und ihre Kollegen garnicht warten. Sie animierten ihre
Kollegen im Rechtsausschuss des Kongresses, eine neue Präambel in die
Verfassung aufzunehmen, die dem Kongress das Recht geben würde, Urteile des
obersten Gerichts zu revidieren oder gar zu anullieren. Interessanterweise
sitzen nun aber gerade zwei dieser Verurteilten im Rechtsausschuss und stimmten
natürlich für den Entwurf. Dieser Vorgang ist sehr fragwürdig, wenn nicht sogar
unmoralisch und antiethisch, allein der Entwurf ansich ist ein Versuch die
demokratische Gewaltentrennung zwischen der Legislative und der Judikative
auszuhebeln.
Da in Brasilien Politik mit sehr
viel Emotionen gemacht wird, und auch die Herren Verfassungsrichter nicht ganz
frei davon sind, setzte der honorige Richter Gilmar Mendes gleich ein
entsprechendes Zeichen: er verhängte eine einstweilieg Verfügung gegen einen
anderen Gesetzentwurf, nämlich die Beschneidung von Parteineugründungen. Da
Präsidentin Dilma sich bereits im Wahlkampf befindet, obwohl die nächste Wahl
erst im Oktober 2014 ansteht, hätte sie es natürlich gerne gesehen, dass
eventuelle Kandidaten oder Kandidatinnen, die als Wahlplattform eine neue Partei gründen wollen, dafür weder
Mittel aus der Staatskasse noch Fernseh und Rundfunkrechte erhalten sollen.
Dies zielt besonders auf die ehemalige Ministerin und
Präsidentschaftskandidatin von 2010, Marina Silva, die dabei ist für ihre
Bewegung eine neue Partei zu gründen. Auf einen Antrag der Oppositionsparteien
hin, erließ Richter Mendes unverzüglich eine einstweilige Verfügung, gegen
dieses neue Parteiengesetz. Von den Kongressführern wurde dies wiederum als
eine unerhörte Einmischung in ihren Bereich
angesehen.
Man sieht, das
alttestamentarische Gesetz: Auge um Auge, Zahn um Zahn, findet in der politischen
Szene Brasiliens noch heute Anwendung.
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