Heute wurde bekannt, dass
Professor Walter Jens aus Tübingen mit 91 Jahren verschieden ist. Er war wohl
in der deutschen Nachkriegszeit eine der schillerndsten akademischen
Persönlichkeiten, der weit über die Universitätskreise hinaus bekannt wurde und
auch eine gewisse Wirkung erzielte. Walter Jens war der erste, der einen
Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik an einer deutschen Universität erhielt, und
dieses Instrument wandte er auch häufig an. 1963 als er seine Professur
aufnahm, entstanden bereits die ersten studentischen Demonstrationsbewegungen
in deutschen Städten, Tübingen war davon wenig berührt, und Jens war als
Ausgebildeter in klassischer Philologie noch zu sehr der Tradition verhaftet.
Doch die 68er Bewegung ging an ihm nicht spurlos vorüber, er bewegte sich
heraus aus seinem akademischen Turm und beschäftigte sich mit der Gegenwart,
mit der deutschen Politik, die er zu diesen Jahren nicht gut heißen konnte. So
kam er, obwohl er ein Anhänger der christlichen Kirche war, mit der politischen
Führung in Deutschland in Konflikt, das ging so weit, dass Kanzler Helmut Kohl
in als Kommunisten beschimpfte, weil er sich stark in der internationalen
Friedensbewegung engagierte. Dabei ging es ihm nur um eine friedliche,
demokratische Gesellschaft. 1990, während des ersten Golfkriegs versteckte er
desertierte US-Soldaten, was ihm einen Prozess wegen Beihilfe zu Fahnenflucht
einbrachte. Die Änderungen der Sozialgesetze in Deutschland, durch die
Regierung Gerhard Schröder nannte er, „ eine völlige Ökonomisierung der
Gesellschaft“. Damit bezog Jens stets eine individuelle, aber ehrliche Position
wenn es ihm erschien, dass ein Staat seinen Bürgern gegenüber Unrecht anwenden
würde.
Stéphane Hessel, der aus Berlin gebürtige
französische Diplomat, trat vor einigen Jahren mit einer schmalen Broschüre an
die Öffentlichkeit, die weltweites Aufsehen erregte: „indignez-vous“, „ empört
Euch“ war der Titel. Er wollte es im hohen Alter einfach nicht hinnehmen, dass
selbst in demokratisch gewählten Staaten, die Regierungen selbstherrlich
handelten und sich so weit von den Nöten und Bedürfnissen der Bürger entfernten,
dass der junge Wähler sich nicht mehr durch den Staat vertreten sieht, und
entweder gleichgültig oder mit Gewalt antwortet.
Stéphane Hessels Schrift war ein
Aufschrei, eines erfahrenen Staatsdieners, der nicht abgehen wollte, ohne
seinem Gefühl für Gerechtigkeit nochmals freien Lauf gelassen zu haben, Walter
Jens wurde dies durch seine Alzheimer-Krankheit verwehrt. Beide sind nun nicht
mehr. Aber wir hören derzeit von dem Prozess gegen den amerikanischen
Obergefreiten Bradley Manning, der lebenslang ins Gefängnis soll, und knapp dem
elektrischen Stuhl entgehen wird, nur weil er amerikanische Kriegsgreueltaten
im Irak ins Netz stellte, und so jedermann zugänglich machte. Edward Snowden
ist auf der Flucht, weil er als IT-Mitarbeiter beim amerikanischen Geheimdienst
NSA feststellte, dass der Staat beliebig mit jedem Bürger „ Big Brother „
spielte. Mit einem Gesetz, das 2001 im Schnellverfahren abgesegnet wurde, kann
und wird nach Belieben das Telefon oder die Internetverbindung eines jeden
amerikanischen Bürgers kontrolliert und überwacht. In der Zeit zwischen 1950
und 1990 wurde das in den westlichen Ländern als KGB-Methode angeprangert. Aber
ein Land, das Verdächtige bereits zwölf Jahre ohne Gerichtsurteil festhält,
menschenunwürdig behandelt und foltert, ist auch dazu fähig die Persönlichkeitsfreiheit
seiner Bürger einzuschränken. Alles zum Wohle der allgemeinen Sicherheit.
Glücklicherweise gibt es noch
Zivilcourage und Menschen die nicht auf ihren finanziellen Vorteil schauen,
Bürger die wie in Istanbul auf die Straße gehen um für die Lebensqualität und
den Erhalt eines Parks zu demonstrieren. Die sich von ihrem ersten Politiker
als Terroristen beschimpfen lassen müssen, nur weil sie nicht einsehen wollen,
dass korrupte Städteplaner einen Park in ein Luxus-Shopping Center verwandeln
dürfen. Ebenso konnte ein Bradley Manning nicht ruhig bleiben, als er die
Horrorbilder sah, wie amerikanische Soldaten Zivilisten wie wilde Tiere vor
sich hertrieben und aus dem Hubschrauber wie Ratten abschossen. Dafür soll er
nun den Rest seines Lebens in einem sogenannten „ Correctional Center „
verbringen, wie die amerikanischen Gefängnisse so schön heißen. Da muss man
schon fragen, wer soll korrigiert werden, der Soldat der sich empört, oder die
Vorgesetzten die solche Kriegsgreuel zugelassen haben? Edward Snowden hat die
National Security Agency, bei der er arbeitete und die Geheimnisse mitbekam,
rechtzeitig verlassen und befindet sich seitdem auf der Flucht. Die staatlichen
Häscher werden ihn irgendwann, irgendwie erwischen.
Der Bogen von Walter Jens über
Stéphane Hessel bis Bradley Manning und Edward Snowden ist weitgespannt. Allen
war und ist die Freiheit des Individuums und die Gerechtigkeit des Einzelnen
wichtiger als eine Staatsmacht, die auch in westlichen Ländern, immer mehr nur
noch die Herrschsucht und den Machthunger der führenden Politiker befriedigt. Was bleibt dem einzelnen Bürger?
Sich zu beschweren und keine Ungerechtigkeit zu schlucken. Das ist oft sehr
unangenehm und gefährlich, aber es ist die Pflicht eines Bürgers, wenn er
wirklich in einer freien Gesellschaft leben will.
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