Dies sagte ich zu meinem Chefredakteur. Der schaute mich ganz verblüfft an,
so als ob ich gesagte hätte: Ich höre auf zu schreiben. Nein, sagte ich zu ihm,
ich möchte schreiben, möchte mich outen, genauso wie es heutzutage die
Homosexuellen und Lesben regelmäßig und mit großer Pressebeachtung machen.
Spinnst Du, meinte er, das will doch keiner lesen. Wieso fragte ich, wenn sich
einer outet und plötzlich erklärt, dass er ein Homo wäre, oder eine Kollegin
sich zum lesbisch sein bekennt, dann gibt das doch auch Schlagzeilen. Folglich
interessiert das sexuelle Verhalten von einigermaßen öffentlichen Personen doch
die Allgemeinheit. So habe ich, nach langer, schwerer Prüfung, nach einem
tiefen inneren Ringen mit mir, nach endlosen Monologen, nach dem Besuch von
Schwulenlokalen, einfach festgestellt, ja ich bin hetero, und das möchte ich
gerne bekannt machen.
Sag mal, bist Du bekloppt, meinte der Chef, immerhin sind laut Statistik
doch etwa 90 Prozent der Deutschen hetero. Das stimmt wohl, sagte ich, aber sie
outen sich nicht, sie bleiben still in ihrer Wohnung, arbeiten hart, zeugen
Kinder, erziehen sie, investieren eine Menge Geld in sie, das nur selten wieder
zurückkommt. Sie tun das im Prinzip selbstlos, für den Staat, für die Zukunft
der Gesellschaft, und was machen die Homos? Sie leben nur in der Gegenwart,
genießen die heute wachsende Toleranz, lassen sich von der Presse und den
Politikern loben, und wenn sie alt sind liegen sie dem Staat zur Last und
treten ab. Sie tun doch nichts für unser
Land. Ist das die erstrebenswerte Zukunft der Gesellschaft? Fragte ich
provozierend den Chef.
Er wurde nachdenklich und zögerte, eigentlich hast du vielleicht recht,
soll ich dir mal etwas unter vier Augen sagen, ich habe vor zwei Monaten meine
Frau nach fünfundzwanzigjähriger Ehe verlassen und bin jetzt mit einem Mann
zusammen. Es ging einfach nicht mehr anders, die Ehe wurde zum Zwang, der Sex
zu einer unangenehmen Pflicht, mir stand überhaupt nur noch Einer, wenn ich
dabei an einen gut gebauten Mulatten dachte, und irgendwann ist es dann
passiert. Du weißt, ich bin Langläufer, Marathonist, und dabei gewinnen ja
immer mehr die drahtigen, schmalen, braunhäutigen Typen aus Afrika. In unserer
Trainingsgruppe gibt es auch welche aus dem Norden Brasiliens, feingliedrig,
sehr schlank, mit den langen sehnigen Muskeln, einem Abdomen wie ein Waschbrett
und Hinterbacken schmal und herrlich gerundet, dazu ein Glied, das im Ruhestand
mein erigiertes weit übertrifft. Da ist es schwer cool zu bleiben, und dabei
ist es passiert. Ich schaute unter der Dusche zu lange hin, Sandro schaute zu
lange zurück und plötzlich bemerkten wir, dass sich bei uns Beiden etwas regte.
Wir haben uns schnell in die Handtücher gehüllt, die Dusche verlassen, aber der
Funke war übergesprungen. Wir tranken noch einen Kaffee zusammen und
verabredeten uns zum gemeinsamen Training am nächsten Nachmittag. Das war
unüblich, denn die Gruppe trainiert normalerweise morgens zwischen 6.00 und 8.00
Uhr. Doch nachmittags sind wir unter uns, erwecken kein Misstrauen.
Nach dem ersten gemeinsamen Training gingen wir zu ihm, er lebt alleine in
einem Miniapartment von etwa 35 Quadratmeter, Schlafzimmer, Dusche und
Kitchenette. In der Dusche war Platz für zwei, wir berührten uns, tasteten uns
ab und hielten dann gegenseitig unsere Schwänze fest. Das war etwas völlig
anderes als das zarte verstohlene
Streicheln durch eine Frau. Das war ein fester Hammergriff und dementsprechend
schoss das Blut in die Adern, knallhart. Ja, wir tobten uns aus, und ich war
danach so glücklich wie in meinem ersten Ehejahr. Wir trafen uns einmal,
zweimal die Woche. Irgendwann fragte mich Eva, was mit mir los wäre, ich suche
sie ja gar nicht mehr. Die Arbeit, das Training, New York wartet, entgegnete
ich. Aber nach New York, die Woche die ich Tag und Nacht mit Sandro zusammen
verbrachte, konnte ich das Doppelleben nicht mehr ertragen. Ich offenbarte mich
Eva, sie reagierte wie erwartet, erschüttert, enttäuscht, wütend, weinend. Ich
hätte ihr etwas vorgemacht, sie
getäuscht und so weiter, fünfundzwanzig Jahre ihres Lebens gestohlen. Sie
musste einsehen, dass es kein Zurück mehr gab, ihre Lebensillusion von einem
harmonischen Familienleben war wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Ich zog
dann aus, in ein Flat und versuche mein neues Leben zu organisieren.
Jetzt musst du dich aber outen, bemerkte ich, das gibt doch eine herrliche
Story für unser Blatt, seriöser Chefredakteur liebt einen Mulatten, einen Marathonisten, das
hilft der Auflage unseres Blattes. Danach könnte in der nächsten Ausgabe mein
Bekenntnis als Hetero kommen. Das wäre doch ein realistischer, interessanter
Dialog. Der Chef, überlegte, wiegte seinen Kopf und meinte, bist du sicher,
dass du ein Hetero bist? Vielleicht steckt in dir ein wenig Bisexualität. Du verkehrst in
Künstlerkreisen, da ist Anderssein doch in, sicher hast du auch schon mal etwas
mit so einem freien Happening-Artisten gehabt. Ich schaute ihn entgeistert an,
nein, meinte ich, ich mag ihre Fantasie, ihre freie Artikulation ohne
Vorurteile, ihre Sensibilität, aber im intimen sind mir Frauenbrüste und eine
unbehaarte, zarte Haut doch lieber. Du bist sicher, dass du keinen
Mutterkomplex hast, meinte er. Brüste liebt wer nicht genügend gestillt wurde.
Da mag er recht haben, denn meine Mutter hatte tatsächlich im Kindbett eine
Brustentzündung, ich wurde als Flaschenkind aufgezogen. Aber ich kann mit dem
Komplex leben, ich liebe lange schlanke Beine, einen kleinen kompakten Hintern,
eine Taille die man mit zwei Händen umfassen kann und schöne warme Brüste, dazu
große, volle Lippen und langes schwarzes Haar.
Geringschätzig schaute mich der Chef an – wie gewöhnlich. Nun begann ich
wirklich unsicher zu werden, ob ich denn rückständig bin, altmodisch,
verklemmt, oder alles zusammen? Warum kann ich an den neuen Vorlieben nichts
finden? Der Chef empfahl mir seinen Therapeuten, ich solle mich mal mit dem
aussprechen, vielleicht entdecke er geheime Wünsche in mir, auch wenn ich sie
wie Thomas Mann ein Leben lang unterdrückt hätte. Nach ein paar Sitzungen wäre
ich mir sicher im Klaren und würde dann wohl einen anderen Artikel schreiben,
zum Beispiel: „ coming-out als Bisexueller.“ Das wäre dann etwas für das
Feuilleton.
Wie ein begossener Pudel verließ ich das Büro des Chefs, wutentbrannt
setzte ich mich an meinem Computer und stellte den Artikel in meinen Blog, der
viel gelesen wird. Aber er hatte recht, bis jetzt hat noch niemand auf mein „
coming-out „ als Hetero reagiert. Vielleicht liege ich wirklich falsch.
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