Nun ist sie zu Ende, und es war fast wie eine Liebesgeschichte, man traf
sich jeden Abend, wartete mit Herzklopfen, was geschehen würde, man
sympatisierte mit den Charakteren, die Männer mehr mit Nina, die Frauen mit
Tufão. Es gab aber auch welche, die sich
für die hysterischen Ausbrüche Carminhas begeistern konnten, das war zwar schon
etwas pervers, aber in unserer Gesellschaft gibt es ja sehr unterschiedliche
Personen, auch solche, die das Böse einfach anzieht. Selbst Max hatte seine
Anhängerinnen, immerhin war er weit mehr Macho als Tufão, oder der alternde
Leleco oder der möchtegern Don Juan Cadinho. Dass letzterer zum Schluss einer
derjenigen war, die ein wirkliches Happy End feiern durften, sollte uns der
Autor doch näher erläutern. Wie hat er es wohl angestellt, dass drei hübsche
Damen ihm gleichzeitig das Ja-Wort gaben. Eine Reflexion auf unsere offene
Gesellschaft oder nur die üblichen Wunschträume der Herren der Schöpfung?
Es war sicher eine der dramatischsten Novelas der letzten Jahre, großartig
war die böse Seite des Lebens, dargestellt von Carminha und Max, Santiago und
Nilo. Selten wurden die männlichen Hauptdarsteller trotteliger und lächerlicher personifiziert
als durch Tufão, seinem Vater Leleco oder Adauto mit der „ chupeta „. Überhaupt
kamen die Fussballstars nicht sehr gut weg. Wer erkannte in Tufão nicht den einen
oder anderen der Großen des brasilianischen Fussballs der letzten Jahrzehnte ?
Außer Geld nichts gewesen, und dies war schließlich auch das durchgehende Thema
dieser sechsmonatigen Serie. Ein einfacher Junge verdient durch das Ballspiel
eine Menge Geld, kann sich eine Luxusvilla leisten, mit allen Angestellten,
herrlichem Garten, und die ganze Familie hängt an ihm wie die Kälber am Euter
der trächtigen Kuh. Eine undurchsichtige Blondine nähert sich ihm, umschwirrt
und umgarnt ihn und bringt es fertig, dass sie noch ihren Liebhaber an die
ebenso naive Schwester des Ex-Fußballers verkuppelt. Alle haben Spass an diesem
neureichen Lebensstil, der nur aus Fressen, Saufen, Festen und Bäumchen-wechsle-dich
Spiel besteht. Doch die Intriganten haben gänzlich anderes im Sinn. Der Plan, der eigentlich daraus bestehen
sollte, an das Geld des Ex-Helden heranzukommen, wird durch das Auftauchen
einer Person gestört, die als Köchin angestellt wurde, aber in Wirklichkeit
sich an Carminha rächen will, beide haben eine dunkle Vergangenheit. Von diesem
angespannten Verhältnis lebte die Novela über Monate. Alles andere war Beiwerk,
Dekoration, wobei mit Deutlichkeit die neuen sozialen Verhältnisse Brasiliens
gezeigt wurden, der Aufstieg der Klasse C, die sich nun mehr leisten kann, sei
es in der Verpflegung, beim Reisen und in den Wohnverhältnissen, aber sonst
weiterhin vulgär und einfach bleibt. Der Abstieg der klassischen guten Gesellschaft
war ebenso enthalten wie die Vorurteile von Reich gegenüber Arm. Brasilien
befindet sich zweifellos in einer gesellschaftlichen Veränderung: die kleine
Oberschicht wird immer bestehen bleiben, obwohl auch sie sich verändert, doch
die klassische kleine Mittelschicht des Bürgertums kann ihren Standard immer
weniger halten, sie lebt von den glorreichen Zeiten der Vergangenheit. Dafür
entstand eine Bewegung aus den ehemals Besitzlosen, Rechtlosen der Peripherie,
die sich, bestärkt durch die Regierung Lula und die wirtschaftliche Stabilität
der letzten zehn Jahre, zu erfolgreichen Konsumenten entwickelt haben. Sie sind
immer mehr ein entscheidender Faktor im brasilianischen Wirtschaftsleben, sie
kaufen, sie zahlen in langfristigen Raten und stärken so den Finanzsektor mit
seinen immernoch weit überhöhten Zinsen. Da ist kein Benehmen vorhanden, keine
Etikette, keine bürgerliche Kultur. Die sozialen Forderungen und Spannungen die
diese Entwicklung zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa erzeugte, werden in
Brasilien derzeit durch reinen Konsumismus kompensiert. Die Novela „Avenida Brasil“ blieb dabei ganz nah an
der Wirklichkeit. Carminha, die das Böse ansich darstellt, ist nur eine
Protagonistin, die es vom „lixão „, von
der Müllhalde, bis zur noblen Villa der
Neureichen geschafft hat. Tufão ist letztlich nur Mittel zum Zweck, um an das
große Geld zu kommen. Dass dann am Ende aber der Geliebte, Max, und selbst der
eigene Vater, Santiago, auf der Strecke bleiben, zeigt den Charakter dieser
Aufsteigerin. Ganz brasilianisch war dann das letzte Kapitel im Zeitraffer, der
nebenbei auch einen Seitenhieb auf die brasilianische Rechtssprechung enthielt,
eine Mörderin kommt bereits nach drei Jahren wieder frei. Ganz in Demut gehüllt,
zieht sich Carminha wieder auf die Müllhalde zurück, von wo sie kam, und
erkennt bei dem Besuch des Sohnes mit Enkel und der Ehefrau Nina, ihrer
erbittersten Gegnerin , dass sie selbst auch charakterlich nur ein Teil der
Müllhalde war. Das einzig Positive ihres Lebens sei ihr Sohn Jorginho, der
ohnehin in allen Kapiteln der Liebling des Publikums war.
Brasilianische Novelas sind beliebt
und populär wegen ihrer Nähe zur Wirklichkeit, wobei sich die Strickmuster
immer wieder ähneln, mehrere gesellschaftliche Ebenen sind ineinander
verknüpft, so dass jeder sich darin entdecken kann. Es werden Wahrheiten und
Wunschvorstellungen miteinander vermischt, die psychologisch als Traum und
Wirklichkeit gedeutet werden könnten. So fesselt man ein Volk, das heterogener
nicht sein könnte, und am Ende gibt es zwar nicht immer ein Happy End, aber man
geht irgendwie in Frieden auseinander. Vielleicht ein echtes Spiegelbild der
Gesellschaft.
Eek
22.10.2012
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