Die Urteile sind noch nicht alle gefällt, trotzdem haben die Richter des
obersten Gerichts schon angedeutet, dass der Hauptschuldige Marcos Valerio sein
wird. Zumindest ist ihm die höchste Strafe zugedacht, mehr als 40 Jahre
Gefängnis. Ob das nun richtig und gerecht ist, mögen Juristen untersuchen, denn
irgendwie müssen die Richter des Bundesgerichts Gesetze gefunden haben, um den
Makler der Geldwäsche an den Pranger zu stellen. Aber gerade hierbei kommen wir zu einer Erkenntnis: Marcos Valerio
war keineswegs der Anführer, der Chefideologe dieses Systems, er war der
willfährige Vermittler, der Geld von staatlichen Firmen erhalten hat, ohne eine
Gegenleistung zu erbringen, dieses Geld dann mittels einer Bank sauber
gewaschen hat und an den Kassenwart der PT weitergab. Natürlich hat er dabei
mitverdient, denn ein reiner Idealist war er nie, sondern eben ein
Dienstleister, der das System schon auf regionaler Basis einmal ausprobierte,
und dabei hat es offensichtlich gut funktioniert.
Die Idee aber, Abgeordnete im Kongress zu kaufen oder ihre Stimme zu
bezahlen, entstand sicher nicht in Marcos Valerios Kopf. Das haben Andere
ausgeheckt. Das Gericht kam auch bereits zu dieser Erkenntnis, weshalb die
ehemaligen PT-Führer José Dirceu und José Genoino verurteilt wurden. Wobei man
allerdings die Querverbindungen zwischen Richtern und Partei erkennen konnte. Während
der Berichterstatter sich bei der Bevölkerung einen enormen Kredit einsammelte,
weil er hart und konsequent die Taten verfolgte und verurteilte, hatte man beim
Revisor zeitweise den Eindruck, er würde als Verteidiger der Angeklagten
auftreten. Dazu kam noch, dass überflüssigerweise ein ehemaliger Verteidiger
José Dirceus nunmehr direkt als Richter über ihn urteilt, Ethik sieht anders
aus. Aber das ist ohnehin in diesem Land noch ein sehr unterentwickeltes
Fremdwort.
Der von einer langen Haftstrafe - es kommen bis jetzt bereits vierzig Jahre
zusammen -bedrohte Vermittler wurde sich erst allmählich bewusst, dass er
tatsächlich für einige Jahre hinter Gitter kommt. Nach brasilianischem
Recht sind offensichtlich gewisse
Strafen, die von Ersttätern begangen werden und ein gewisses Strafmaß nicht
übersteigen, von vorneherein zur Bewährung oder mit erleichteter Haft
abgegolten. Dies würde aber für Marcos Valerio nicht zur Anwendung kommen.
Weshalb er dieser Tage den Generalstaatsanwalt aufsuchte und bat, man möge ihn
unter den Kronzeugenschutz stellen. Dies würde bedeuten, dass seine Strafe
ausgesetzt werden könnte. Dafür bot er bisher nicht bekanntes Insiderwissen an,
das die PT und damit die Regierung in der Zeit Präsident Lulas schwer belasten
würde. Inwieweit diese Details nun mehr der Fantasie Valerios entsprungen sind
oder ob er tatsächlich klare Fakten für die Beteilung höchster
Regierungskreise, bis zum Präsidenten, in diesem Netz belegen kann, das bedarf
sicherlich eingehender Untersuchung. Wobei man als Außenstehender sich
natürlich fragen muss, wem die Zahlungen des „ mensalão“ in erster Linie
genützt haben. Natürlich der Regierung.
Warum also soll sie nichts davon gewusst haben? Wenn aber der erste Minister
bereits verurteilt wurde, kann man dann wirklich glauben, dass der Präsident
nichts wusste? Bisher hat er sich noch nicht einmal auf die Seite der Richter
und Ermittler gestellt, sondern hält eisern zu seinen Parteigenossen, was immer
sie auch verbrochen haben. Niemand denkt daran, die Verurteilten aus der Partei
auszuschließen, sie genießen nach wie vor das Vertrauen der Parteiführer, des
Ex-Präsidenten und der Regierungmannschaft. Ein großer Brasilienkenner äußerte
einmal, er kenne wenig Länder, in den so leicht aus Recht Unrecht und aus
Unrecht Recht würde. Die Behandlung des mensalão´-Prozesses durch die
politische Gesellschaft, die derzeit an der Macht ist, ist ein schlagendes
Beispiel dafür. Nicht umsonst erwähnte Marcos Valerio bei seiner Aussage vor
dem Bundesanwalt auch den Namen Celso Daniel. Dieser Fall lastet bis heute wie
ein Kainsmal über der PT. Es ist mittlerweise eine Tatsache, dass der ehemalige
Bürgermeister von Santo André und vorgesehene Minister in der ersten Regierung
Lula sterben musste, weil er bei einem korrupten Netz in seiner Stadt nicht
mehr mitspielte. Zwar sind die Mörder verurteilt, aber nicht die Planer und
Drahtzieher dieses Komplotts. Nicht ein Wort des Bedauern kam bis heute über
die Lippen des ehemaligen Präsidenten und seiner Parteiführer. Was immer das
bedeuten mag.
Marcos Valerio hat keine gute Zukkunft vor sich, ob in oder außerhalb der Gefängnismauern,
sein Dilema ist: er weiß zu viel.
Eckhard E. Kupfer
1.11.2012
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