Als ich vor einigen Tagen die
Sendung „hartaberfair“ von Frank Plasberg im Programm der Deutschen Welle
ansah, dachte ich an das letzte Jahr meines Vaters. Er befand sich im
Endstadium der Demenz, an das Bett gebunden, die Kommunikation fand nur noch
über Augen und Händedruck statt und plötzlich verweigerte er die
Nahrungsaufnahme. Obwohl meine Mutter ihn mit Hilfe einer Hospizhelferin
bestens versorgte, war ihre Möglichkeit der Pflege zu Ende. Er wurde ins
Krankenhaus eingeliefert und da ich gerade zu Besuch weilte, begleitete ich ihn
im Krankenwagen und besorgte die Einlieferung. Soweit schien mir alles normal
und gut organisiert, doch als der diensthabende Arzt mir eine direkte Frage
stellte, war ich zunächst geschockt: „Sollen wir lebenserhaltende Maßnahmen
ergreifen, wenn es notwendig wird?“ Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet,
was hatte dies zu bedeuten? Nun, der Arzt erklärte mir, dass dies vom
Sauerstoffgerät bis zur intravenösen Ernährung reichen könnte. Ich war
unschlüssig, sah meinen einst aktiven Vater liegen, zusammengefallen, nur noch
Haut und Knochen, kaum bei Bewusstsein und fragte mich, was für ihn besser
wäre. Ich kam zu dem Schluss, dass eine Lebensverlängerung durch Geräte und
technische Maßnahmen ihm nicht wirklich helfen könnte, sein Zustand hielt
bereits über ein Jahr an und der Zerfall nahm langsam, aber unwiderruflich zu.
Der Arzt wartete auf meine Antwort, denn ich hatte das Einlieferungsdokument zu
unterschreiben, er sah mich an und ich sagte – „Nein“. Erst danach kam mir der
Gedanke, dass ich damit wahrscheinlich über das Leben meines Vaters entschieden
habe.
Es kam nicht dazu, sein Zustand
verbesserte sich soweit, dass er wieder nach Hause kam und wieder natürlich
ernährt werden konnte. Er lebte noch drei Monate, ehe er in seiner eigenen
Umgebung verschied. Doch der Gedanke bewegte mich lange, mit einem Wort hätte
ich über das Leben oder den Tod meines Vaters entscheiden können.
Als ich die Diskussionsteilnehmer
in Plasbergs Sendung hörte, erinnerte ich mich an diese Situation, in welcher
ich unvorbereitet mit der eigentlich ärztlichen Frage konfrontiert wurde, wann ein
Leben endet. Während der Fernsehdiskussion begegneten sich extreme Vertreter,
auf der einen Seite ein Arzt, der seit 15 Jahren Sterbehilfe leistet sowie ein
Witwer, der das Ableben seiner Frau auf eigenen Wunsch mit Hilfe der
schweizerischen Organisation „Exit“ erlebte, auf der anderen Seite ein
Kapuzinermönch, der langjährige Erfahrung in der Hospizausbildung mitbrachte,
sowie eine Palliativärztin aus Dresden. Dazwischen saß, nicht nur physisch,
sondern auch in der Meinung, der ehemalige Bürgermeister von Bremen, Henning
Scherf, der Sterbehilfe als ein Tabu betrachtet und sich dagegen wehrt, dass
irgendwann der Staat per Gesetz oder ein Gericht per Urteilsbeschluss über das
Leben oder dessen Ende entscheidet. Die Diskussion wurde teilweise sehr
emotional geführt, besonders als der Witwer aus der Schweiz ausführlich über
die Entscheidung seiner Frau und ihre letzten gemeinsamen Tage berichtete.
Bruder Paulus erwähnte schockiert, wie ihm dabei kalt wurde, ob der objektiven,
fast emotionslosen Erzählung des Witwers. Ebenso wandte er sich energisch gegen
das Tun und Handeln des Sterbehelfers aus Berlin, der berichtete wie intensiv
und persönlich er seine Patienten begleitet und durchaus Energie darauf
verwendet, sie von ihrem Wunsch, dem Leben ein Ende zu machen, abzuhalten.
Letztlich ging es aber eindeutig
um die Frage, darf ein Mensch den legitimen Wunsch haben, seinem Leben ein Ende
zu bereiten, wenn er unheilbar krank ist und nur noch einen langen Leidensweg
vor sich hat, oder ist dies allein Gottes Entscheidung. Die Meinungen prallten
aufeinander und es kam so wenig zu einer Einigung wie zwischen Israel und
Palästina, aber es zeigte sich auch in Zusatzbeiträgen und Meinungsumfragen,
dass die Mehrheit der Deutschen heute der Meinung ist, dass ein Mensch, der im
Vollbesitz seiner Sinne ist, über das Ende seines Lebens selbst entscheiden
darf. Wenn er dies in einem Testament festlegt, sollten sowohl Ärzte als auch
Angehörige daran gebunden sein, was in der Praxis nicht unbedingt eingehalten
wird. Leben und vor allem Ableben ist ja nicht nur ein physischer Vorgang.
Ärzte mögen da noch professionell und wenig emotional vorgehen. Statistiker
noch viel weniger, denn letztlich ist der Mensch keine seltene Spezies, es gibt
viele Milliarden davon, entscheidend sind letztlich die direkten Angehörigen,
die entweder den letzten Wunsch respektieren oder aber emotional an dem
Leidenden hängen und den Abgang der Natur überlassen, auch wenn er quälend und
schmerzlich ist. Seltener sind die materiell Denkenden, die dann das Ableben
kaum erwarten können.
Die harte und manches Mal an der
Grenze zur Fairness geführte Diskussion zeigte jedoch wieder einmal, wie
unterschiedlich die Meinung zur Sterbehilfe noch ist, wobei beide Seiten gute
Argumente anführten. Die Christen und Palliativmediziner verteidigen den
natürlichen Abgang, der nicht von Menschenhand beeinflusst werden darf, die
Sterbehelfer und die Mehrheit der Bevölkerung sehen aber im schweren Leiden im
Endstadium keinen Sinn. Eine klare Rechtslage gibt es in vielen Ländern nicht.
Wer es zu Lebzeiten verfügt, kann also sein Sterben selbst bestimmen, ansonsten
liegt es in der Hand von Ärzten oder der Natur.
Eek 22.11.2012
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