quinta-feira, 22 de novembro de 2012

Sterbehilfe


Als ich vor einigen Tagen die Sendung „hartaberfair“ von Frank Plasberg im Programm der Deutschen Welle ansah, dachte ich an das letzte Jahr meines Vaters. Er befand sich im Endstadium der Demenz, an das Bett gebunden, die Kommunikation fand nur noch über Augen und Händedruck statt und plötzlich verweigerte er die Nahrungsaufnahme. Obwohl meine Mutter ihn mit Hilfe einer Hospizhelferin bestens versorgte, war ihre Möglichkeit der Pflege zu Ende. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert und da ich gerade zu Besuch weilte, begleitete ich ihn im Krankenwagen und besorgte die Einlieferung. Soweit schien mir alles normal und gut organisiert, doch als der diensthabende Arzt mir eine direkte Frage stellte, war ich zunächst geschockt: „Sollen wir lebenserhaltende Maßnahmen ergreifen, wenn es notwendig wird?“ Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet, was hatte dies zu bedeuten? Nun, der Arzt erklärte mir, dass dies vom Sauerstoffgerät bis zur intravenösen Ernährung reichen könnte. Ich war unschlüssig, sah meinen einst aktiven Vater liegen, zusammengefallen, nur noch Haut und Knochen, kaum bei Bewusstsein und fragte mich, was für ihn besser wäre. Ich kam zu dem Schluss, dass eine Lebensverlängerung durch Geräte und technische Maßnahmen ihm nicht wirklich helfen könnte, sein Zustand hielt bereits über ein Jahr an und der Zerfall nahm langsam, aber unwiderruflich zu. Der Arzt wartete auf meine Antwort, denn ich hatte das Einlieferungsdokument zu unterschreiben, er sah mich an und ich sagte – „Nein“. Erst danach kam mir der Gedanke, dass ich damit wahrscheinlich über das Leben meines Vaters entschieden habe.

Es kam nicht dazu, sein Zustand verbesserte sich soweit, dass er wieder nach Hause kam und wieder natürlich ernährt werden konnte. Er lebte noch drei Monate, ehe er in seiner eigenen Umgebung verschied. Doch der Gedanke bewegte mich lange, mit einem Wort hätte ich über das Leben oder den Tod meines Vaters entscheiden können.

Als ich die Diskussionsteilnehmer in Plasbergs Sendung hörte, erinnerte ich mich an diese Situation, in welcher ich unvorbereitet mit der eigentlich ärztlichen Frage konfrontiert wurde, wann ein Leben endet. Während der Fernsehdiskussion begegneten sich extreme Vertreter, auf der einen Seite ein Arzt, der seit 15 Jahren Sterbehilfe leistet sowie ein Witwer, der das Ableben seiner Frau auf eigenen Wunsch mit Hilfe der schweizerischen Organisation „Exit“ erlebte, auf der anderen Seite ein Kapuzinermönch, der langjährige Erfahrung in der Hospizausbildung mitbrachte, sowie eine Palliativärztin aus Dresden. Dazwischen saß, nicht nur physisch, sondern auch in der Meinung, der ehemalige Bürgermeister von Bremen, Henning Scherf, der Sterbehilfe als ein Tabu betrachtet und sich dagegen wehrt, dass irgendwann der Staat per Gesetz oder ein Gericht per Urteilsbeschluss über das Leben oder dessen Ende entscheidet. Die Diskussion wurde teilweise sehr emotional geführt, besonders als der Witwer aus der Schweiz ausführlich über die Entscheidung seiner Frau und ihre letzten gemeinsamen Tage berichtete. Bruder Paulus erwähnte schockiert, wie ihm dabei kalt wurde, ob der objektiven, fast emotionslosen Erzählung des Witwers. Ebenso wandte er sich energisch gegen das Tun und Handeln des Sterbehelfers aus Berlin, der berichtete wie intensiv und persönlich er seine Patienten begleitet und durchaus Energie darauf verwendet, sie von ihrem Wunsch, dem Leben ein Ende zu machen, abzuhalten.

Letztlich ging es aber eindeutig um die Frage, darf ein Mensch den legitimen Wunsch haben, seinem Leben ein Ende zu bereiten, wenn er unheilbar krank ist und nur noch einen langen Leidensweg vor sich hat, oder ist dies allein Gottes Entscheidung. Die Meinungen prallten aufeinander und es kam so wenig zu einer Einigung wie zwischen Israel und Palästina, aber es zeigte sich auch in Zusatzbeiträgen und Meinungsumfragen, dass die Mehrheit der Deutschen heute der Meinung ist, dass ein Mensch, der im Vollbesitz seiner Sinne ist, über das Ende seines Lebens selbst entscheiden darf. Wenn er dies in einem Testament festlegt, sollten sowohl Ärzte als auch Angehörige daran gebunden sein, was in der Praxis nicht unbedingt eingehalten wird. Leben und vor allem Ableben ist ja nicht nur ein physischer Vorgang. Ärzte mögen da noch professionell und wenig emotional vorgehen. Statistiker noch viel weniger, denn letztlich ist der Mensch keine seltene Spezies, es gibt viele Milliarden davon, entscheidend sind letztlich die direkten Angehörigen, die entweder den letzten Wunsch respektieren oder aber emotional an dem Leidenden hängen und den Abgang der Natur überlassen, auch wenn er quälend und schmerzlich ist. Seltener sind die materiell Denkenden, die dann das Ableben kaum erwarten können.

Die harte und manches Mal an der Grenze zur Fairness geführte Diskussion zeigte jedoch wieder einmal, wie unterschiedlich die Meinung zur Sterbehilfe noch ist, wobei beide Seiten gute Argumente anführten. Die Christen und Palliativmediziner verteidigen den natürlichen Abgang, der nicht von Menschenhand beeinflusst werden darf, die Sterbehelfer und die Mehrheit der Bevölkerung sehen aber im schweren Leiden im Endstadium keinen Sinn. Eine klare Rechtslage gibt es in vielen Ländern nicht. Wer es zu Lebzeiten verfügt, kann also sein Sterben selbst bestimmen, ansonsten liegt es in der Hand von Ärzten oder der Natur.

 

Eek 22.11.2012

 

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